FOTO IM FOCUS
 
In dieser Rubrik stelle ich in unregelmäßigen Abständen eines meiner Fotos und seine Entstehungsgeschichte näher vor.
Helmut, Thüringen 1991
Dieses Foto entstand während meiner Reise durch Berlin und die "Fünf neuen Länder" im Jahr 1991. Fotografiert habe ich mit meiner damaligen Lieblingskamera Nikon FE2, natürlich auf Film. Aber nicht die technischen Details sind interessant, sondern die Geschichte hinter dem Foto.
DER LETZTE EINSIEDLER?
Ein Lanz Bulldog aus Helmuts Sammlung

Das Foto zeigt Helmut; der Nachname tut nichts zur Sache. Helmut lebte in einer alten Wassermühle am Waldrand in der Nähe des thüringischen Örtchens Frießnitz. Wie alt Helmut war, weiß ich nicht – doch sicherlich nicht so alt, wie es sein zerfurchtes Gesicht vermuten lässt.

Anfang der 80er Jahre, als die DDR noch realexistierend und die Wiedervereinigung nicht einmal ein Hirngespinst war, übernahm Helmut das Mühlengelände als Ruine. Nach und nach hatte er erst die Wassermühle und dann auch die Nebengebäude wieder aufgebaut – eigenhändig, ohne Maschinen und weitgehend alleine. Nur Siegmar, der Mann einer alten Schulfreundin meiner Mutter, hatte ihm gelegentlich geholfen und die ein oder andere Fuhre Sand für ihn "sozialistisch umgelagert". Strom, Wasser und Kanalisation hatte die Mühle auch nach dem Aufbau nicht. Wasser holte Helmut aus dem Bach, und seine Notdurft verrichtete er auf einem Plumpsklo mit Herzchentür, selbstgebaut natürlich. Strom lieferte ihm eine Generator, doch den brauchte er nur selten. Und wenn, dann nur für seine Elektrowerkzeuge, denn Helmut sammelte alte Traktoren, Lanz und Deutz vor allem, und richtete sie akribisch wieder her. Mehr als ein Dutzend von ihnen war in den verschiedenen Gebäuden auf dem Mühlengelände unter­gebracht. Und dazu noch etliche alte Mofas und Motorräder.

GÄSTEZIMMER OHNE GÄSTE

Das Foto von Helmut entstand, als wir in seiner kleinen, muffigen Küche saßen. Dort schlief er auch, in einem Bett in der Ecke, direkt neben einem alten Holzofen. Gemusst hätte er es nicht, denn Helmut besaß in den Nebengebäuden mehrere Gästezimmer. Alle komplett mit antiken Möbeln ausgestattet, die Betten frisch bezogen, als ob er jeden Moment eine Schar von Gästen erwartete. Doch Gäste hatte Helmut keine.

Das soll einmal anders gewesen sein, damals in der DDR. Hoch hergegangen sei es da so manche Nacht. Wer seine Besucher waren? Die Stasi, munkelte die Schulfreundin meiner Mutter. Helmut schwieg dazu – wie er überhaupt zu seiner Vergangenheit schwieg.

Helmut starb 1998. In seiner Mühle hatte es gebrannt, doch ob er durch den Brand zu Tode kam, ist unklar. Suizid wurde vermutet, aber vermutet wurde über Helmut viel. Seine Traktorensammlung hat ein Museum in Paderborn übernommen. Die alte Mühle wurde umgebaut. In ihr lebt jetzt eine junge Familie. Mit Strom und Kanalisation.



Das Foto Helmut belegte auf der 11. Internationalen Ausstellung des ARFO-Fototeams 2005 den 5. Platz in der Rubrik Schwarzweiß.

© Werner Kirsch, Köln. Alle Fotografien und Texte sind urheberrechtlich geschützt. Jegliche Nutzung nur mit Genehmigung des Urhebers.
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